Am Freitag ging es nach Wallenhorst bei Osnabrück. Dort durfte ich auf der deutsch-jamaikanischen Hochzeit von Stefan & Shanique auflegen. Die beiden hatten nach einem DJ gesucht, der nicht den üblichen Mix aus Charts und Schlager spielt und dazu mehr oder weniger lustig moderiert. In Google hatten Sie meine Seite entdeckt. Ihre Aufmerksamkeit hatte wohl die Aufzählung der musikalischen Genres erregt, die ich als DJ drauf habe. Wollten Sie doch einen DJ, der sich auch mit Reggae, Dancehall und Dub auskennt.
Einige Monate zuvor hatten wir uns zu einem längeren Gespräch in Bonn getroffen, als sie einmal in der Stadt zu Besuch waren. Es wurde ein langer Nachmittag und wir haben uns köstlich unterhalten. Nicht nur über Roots Reggae, sondern auch über Ska, Rocksteady, Dub, Ragga, Dancehall und jamaikanische Einflüsse in der aktuellen Dancemusic, Natürlich haben wir uns auch ausführlich darüber unterhalten, wie die beiden sich ihre Hochzeit vorstellen. Dabei konnte ich ihnen als erfahrener Hochzeits-DJ den einen oder anderen Tipp geben. Meine Tipps haben ihnen bei der Planung ihrer Hochzeitsfeier wohl gut geholfen, was mich immer besonders freut.
Gefeiert wurde im Hotel Lingemann. Das in der ländlichen Gegend gelegene Hotel war auf den ersten Blick eher unscheinbar, entpuppte sich aber als perfekte Party-Location. Es hat alles, was für eine tolle Feier notwendig ist: perfekt vorbereitet bis ins Detail, ein erfahrenes, super eingespieltes, mitdenkendes Service-Team, kein zeitlicher Anschlag und keinerlei Einschränkungen bei der Lautstärke, weder wegen Hotelgästen noch wegen Nachbarn. Noch dazu ist der Saal klimatisiert, was bei sommerlichen Temperaturen den tanzenden Gästen sehr entgegen kam.
Nach der Trauung trafen das Hochzeitspaar und seine Gäste im Saal ein. Bei sommerlichem Wetter gab es entspannte Hintergrundmusik, oft mit jamaikanischen Bezug. So lief zum Beispiel „My Boy Lollipop“, 1964 ein weltweiter Hit der jamaikanischen Sängerin Millie Small – hier aber im Original der (weißen) New Yorkerin Barbie Gaye von 1956. Auch die eine oder andere Instrumentalversion großer jamaikanischer Musiker wie Don Drummond, Tommy McCook oder Monty Alexander sorgte bei den Gästen aus vielen Ländern für einen guten Start in eine lange Nacht,
Nach dem Hochzeitstanz zu „Diamonds“ ging es dann weiter mit Party-Classics und aktuellen Hits. Wie bei vielen Hochzeiten üblich waren die musikalischen Vorlieben der tanzwütigen Gäste weit gestreut. In Absprache mit dem Brautpaar habe ich den einen oder anderen Musikwunsch nicht erfüllt, so dass es die Hochzeitsparty wurde, die die beiden sich gewünscht haben. Getanzt wurde durchgängig bis um 4:30 Uhr. Berührt hat mich, dass sich unter die Tänzer ein älterer Mann und eine ältere Dame mischten. Er beherrschte seinen Rollstuhl perfekt und drehte sich auf den beiden großen Rädern seines Rollstuhls im Takt der Musik. Sie tanzte ebenfalls ausdauernd mit Hilfe ihres Rollators. Das fand ich wunderschön. Ist es doch sonst eher so, dass sich die älteren Gäste einer Hochzeitsgesellschaft nach einem obligatorischen Tänzchen kurz nach der Eröffnung der Tanzfläche nur an ihrem Tisch aufhalten.
Ausgelassen getanzt und gefeiert wurde im Verlauf der Nacht zu Fantan Mojah, den Jolly Boys, John Holt, Jah Bouks und auch Gentleman. So richtig emotional wurde es für mich als DJ als gegen 3 Uhr morgens einer der jamaikanischen Gäste um das Mikrofon bat. Es lief gerade Rico’s „Dial Africa Dub“ und er fing an, dazu zu toasten. Das ging weiter auf den nächsten Track, den Buffalo Soldier Riddim von Sly & Robbie und wurde zu einer richtigen kleinen Jam Session. Wunderbare Momente.
Um das zu verstehen, muss ich vielleicht erklären, welche besondere Bedeutung die Dub-Version von „Dial Africa“ für mich hat. Das erste Mal gehört habe ich sie 1977, im zarten Alter von elf Jahren, bei „John Peel’s Music“. Diese Sendung des bahnbrechenden Radio-Moderators wurde von der BBC übernommen und vom britischen Soldatensender BFBS in Berlin ausgestrahlt. Damals habe ich den Song auf Cassette mitgeschnitten. Und ich habe ihn sowas von geliebt. Was für Sounds der Bläser, was für eine Rhythmus Gruppe (Sly & Robbie wie ich lernte) und diese Dub-Elemente, in denen ich mich schon als Teenager so wunderbar verlieren konnte. Es dauerte nicht lange und Ricos „Man from Wareika“ LP drehte sich bei mir auf dem Plattenteller. Sie enthielt aber leider nicht die Dub Version. Diese habe ich viele Jahre lang vergeblich gesucht – und dabei kannte ich so ziemlich jeden Plattenladen in Berlin, die in der Regel gut sortiert waren.
Später habe ich erfahren, dass Wareika Dub / Warrika Dub nur in einer Auflage von 500 Stück erschienen ist. Deshalb war sie so schwer auffindbar wie sonst was. Meine Suche ging über Jahre weiter. Irgendwann habe ich jemanden am Telefon gehabt, der die Platte hatte, sie aber nicht verkaufen wollte. Er war aber so lieb, mir eine hochwertige Cassetten-Aufnahme zu machen. So konnte ich erstmalig die wunderbare Langspielplatte in ihrer vollen Schönheit genießen.
Die folgenden Jahre habe ich immer wieder nach Re-Issues gesucht – so wurden im Laufe der Jahre viele Schätze von Rico auf CD wiederveröffentlicht. Aber nicht „Wareika Dub / Warrika Dub“. Irgendwann erfuhr ich in den 00er Jahren, dass es inoffizielle Re-Issues auf Vinyl gab. Die waren aber auch nicht zu bekommen. Doch dann hatte meine Suche ein Ende und ich fand heraus, dass auf Island Records ein Re-Issue auf CD erschienen war – in Japan. Also habe ich mir über Amazon Japan für ziemlich viel Geld und fast genauso viel Porto die CD bestellt. Und im selben Jahr habe ich auch noch ein Bootleg-Vinyl kaufen können. So habe ich nach diesem Album über 30 Jahre gesucht. Nun spiele ich einen meiner beiden Lieblingstracks davon und der Gast fängt an dazu wunderbar zu toasten. Da liefen mir Schauer bei dieser deutsch-jamaikanischen Hochzeit Schauer über den Rücken. Wunderbar.
Das Hochzeitspaar schreibt mir: